Charlott 2 (t)

Kaum war sie das erste Mal bei uns, die Früh­förderin, da stellte ich mir gle­ich die Frage, ob es keine Alter­na­tive gäbe. Ich mochte sie nicht. Es war nicht nur ihr Geruch, säuer­lich, überdeckt von einem süßen Par­füm. Doch das Saure stach hin­durch, zu einem mod­ri­gen Mix wie ein feuchter Keller, in dem eine Ladung Milch vergessen wurde. Vielle­icht klingt das hart, aber kurz nach­dem sie weg war, riss ich alle Fen­ster auf, deck­te Fritz zu und lüftete eine knappe halbe Stunde.

Doch ich roch sie danach immer noch, über­all, als hätte sich der Geruch tief in die Wände gezo­gen, statt nach draußen. Ich war froh, dass sie nur ein­mal pro Woche kam, denn meine Nase kon­nte sie nicht vergessen. Fritz war es wohl egal, er hat­te seinen Feucht­fil­ter über der Kanüle. Aber wenn es nur der Geruch gewe­sen wäre, nur das.

Vielle­icht hätte ich es mit der Zeit ignori­eren kön­nen. Ich hätte mir für die Stunde den Pflege­di­enst bestellt und wäre ins Schlafz­im­mer oder in den Super­markt geflüchtet, mit der Anweisung an die Schwest­er, gut zu lüften, wenn die Dame weg ist. Wenn es schon nicht mit dem Kinder­garten klappt, dann sollte die Förderung nach Hause kom­men, meinte eine Ther­a­peutin von Fritz. Kein Prob­lem, dachte ich. Doch als ich den Geruch wegzu­drän­gen ver­suchte und die Frau ansah, musste ich sofort meine Abscheu ver­steck­en. Sie war nicht nur geschminkt, ihr Gesicht war mit ein­er dick­en Schicht Paste bedeckt, fes­ter und dick­er als bei mein­er Mut­ter. Dabei dachte ich immer, meine Mut­ter sei die Per­son, von der die Kos­metikin­dus­trie lebt. Nein, im Ver­gle­ich haftete auf mein­er Mut­ter nur ein leichter, fast durch­sichtiger Anstrich. Aber bei dieser Frau war das Make-up der glät­tende Kitt, als wären die Uneben­heit­en in ihrer Haut tiefe Furchen, gezo­gen von der Klaue ein­er Wild­katze.

Ich solle ja nicht nach dem Äußeren urteilen, meint Hilde, als ich ihr von der Frau erzählte. Ich solle nicht, aber ich wusste schon, es würde nichts mit der Förderung, nicht mit dieser Frau. Damit ich ihr Gesicht nicht anschauen musste, senk­te ich meinen Blick auf ihre Hände. Die Fin­gernägel waren zu lang und hat­ten eine schwarze Ein­fär­bung von unten. Und diese Hände soll­ten an mein Kind ran? Sie kam mit einem ver­zo­ge­nen Lächeln und einem leisen “Hal­lo, ich bin …” und kämpfte sich mit Worten zu Fritz durch, ohne zu fra­gen, wo das Bad oder das Desin­fek­tion­s­mit­tel für die Hände war.

Genau­so wie ein­mal eine Schwest­er, die dann sofort wieder gehen durfte. Sie kam hereingestürmt mit einem verkürzten “Guten Tag, Fritz”, hus­tete und griff zum Absauger, ohne Hand­schuhe, ohne Desin­fek­tion. Wer weiß, wo sie vor ihrem Dienst war und ob sie nicht vorher auf ein­er Toi­lette ihren Tam­pon gewech­selt hat­te, ohne ihre Hände danach zumin­d­est mit Wass­er zu kon­fron­tieren. Klar, die öffentlichen Toi­let­ten, da ste­ht man vor dem Waschbeck­en und ver­sucht abzuschätzen, was bess­er ist: den ver­sifften Wasser­hahn anz­u­fassen oder die eige­nen Keime erst­mal bei sich an den Hän­den zu lassen.

Doch auch als sie das zweite Mal kam, wurde es nichts mit uns. Der Geruch blieb und ich hat­te ein ungutes Gefühl, sie über­haupt in die Nähe von Fritz zu lassen. Ich redete mit ein­er Phys­io­ther­a­peutin von Fritz darüber, doch die zuck­te nur mit den Schul­tern und meinte: “Über manche Dinge muss man halt mal hin­wegse­hen.” “Nee,” ent­geg­nete ich, “nicht über dreck­ige Fin­gernägel.” Doch da zuck­te sie wieder mit den Schul­tern. “Sie müssen ja wis­sen, was sie tun.” Ich wusste es. Ich rief bei der Früh­förder­stelle an und fragte, ob es eine Art Ersatz gäbe. “Gibt es nicht”, war die Antwort: “Jed­er hat dort sein Gebi­et, da könne man nicht ein­fach die Leute tauschen.” “Nun, da hat­ten sie halt einen Kun­den weniger”, meinte ich darauf. “Mmh,” machte es nur am anderen Ende der Leitung: “Wenn Sie meinen, dann ist das halt so.”

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