Charlott 2 (n)

Das behin­derte Kind und sein Revi­er. Häu­fig habe ich das Gefühl, ich gehöre mit Fritz nicht hier her, nicht unter den anderen Eltern. Klar wurde es mir, als ich mir den Weg des Säuglings zum laufend­en Kleinkind bertra­chtete und diesen ver­glich mit Fritz. Der Bub, er saugte kaum, und laufen: Wie bitte, was ist das? Kaum nach der Geburt sucht der Weg seinen Anfang mit der Gym­nas­tik­stunde bei der Hebamme, dem Beck­en­bo­den­train­ing mit Säugling­show, und dann zieht er weit­er über die Krabbel­stunde in der Prax­is, mal bek­lei­det, und nackt.

Bei der Krabbel­stunde war mein Dabei­sein schon vor­bei. Doch es gab noch das Eltern­café, 500 Meter von uns weg. Die Hilde meinte, die Leute dort seien ganz Alter­na­tive, die wür­den mit so ein­er Mut­ter wie mir total lock­er umge­hen. Klar, ich pack­te Fritz ein und wir machte uns dor­thin auf die Reise. Doch mit der Ankun­ft wurde mir schon klar, hier kann ich ein Häkchen set­zen für “Kannste vergessen”: Stufe um Stufe führen ins Café und diese sind nicht zu bewälti­gen mit dem Bug­gy. Denn auf ein täglich­es Gewichtheben kann ich nicht nur, da muss ich sog­ar drauf verzicht­en. Und drin scheint auch kein Platz zu sein für die Karre. Die Kinder­wa­gen wer­den vorm Haus geparkt, doch wer­den sie nicht irgend­wo vor dem Haus geparkt, frei nach, dort ist auch noch eine Ecke für meinen Wagen. Nein, son­dern sie werde in Reih und Glied abgestellt, als wäre eine Gruppe Rock­er mit ihren Motor­rädern eingekehrt. Alter­na­tiv, das heißt doch, man trägt und fährt nicht. Aber wie die Hilde meinte, die Leute seien halt lock­er­er als andere. Und drin wur­den dann die Bäl­ger auf Mat­ten abgelegt oder auf Stil­lkissen an die Brust gepflanzt. Und nur Müt­ter, nur. Alter­na­tiv ist also, wie kriege ich mit dem Stil­lkissen und ohne Mann ein Kind groß und ohne Roll­stuhl. Eltern­café, da gehörst du als Mut­ter mit deinem Bub nicht hin, es ist nicht dein, euer Revi­er. Dies war mir dann ein­deutig klar. Auch noch später, als ich mal rein musste für die Hilde, die dort immer ihren Kaf­fee besorgt, kuban­is­chen. Ich ließ Fritz kurz draußen ste­hen, um Stufe um Stufe ins alter­na­tive Leben zu schre­it­en, für 500 Gramm ungemah­lene Kaf­fee­bohnen. Die Blicke der Müt­ter fie­len nicht nur auf Fritz, sie blieben dran kleben, dass ich mir über­legte, ob ich jet­zt wie in einem West­ern eine Kanone aus dem Hafter ziehen sollte und dann in die Decke schieße oder ob ich mir einen Teller von Theke schnappe und ein­mal über die Stil­lkissen stolpere und um eine Spende bitte. Bei­de Gedanken drück­te ich schnell bei­seite und ver­schwand schle­u­nigst mit dem Pfund Kuba. Denn näch­sten Schritt ins alter­na­tive Dasein werde ich wohl ohne Fritz täti­gen. Hilde ihre kuban­is­chen Bohnen, die kon­nte sie sich ab dem Tag wieder selb­st holen.

Kat­e­gorie: 



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Charlott 2 (m)

Am häu­fig­sten muss ich an die Tage denken, an denen die Hilde immer zu spät kam. Auch an dem Tag, als ich einen Ter­min mit der Wohnge­sellschaft hat­te. Da wollte sie unbe­d­ingt mit dabei sein. Doch sie tauchte nicht wie verabre­det auf.
Prob­leme mit dem Hau­seigen­tümer, nun, die gab es immer mal, aber dieses wog schon schw­er­er.

Ein Mit­be­wohn­er hätte sich beschw­ert, erzählte mir die Wohnge­sellschaft. Ich würde mit dem Bug­gy immer gegen die Wand stoßen gegenüber vom Fahrstuhl. “Hmm,” ließ ich in den Hör­er fall­en, wodurch der Herr am anderen Ende meinte, “Dies lässt sich wohl kaum übers Tele­fon klären.” Ich pflichtete ihm bei und erk­lärte, dass die Kurve für den Bug­gy, wenn man aus dem Fahrstuhl kommt, ein­fach zu eng ist. “Wie gesagt, wir machen einen Ter­min”, sagte er: “Sie sind doch sicher­lich immer zu Hause.” — “Nein,” antwortete ich: “auch wenn ich ein behin­dertes Kind habe, heißt es noch lange nicht, dass ich nicht mehr rauskomme, drin­nen in der Woh­nung, ver­sauere.” — “Das habe ich doch gar nicht gesagt. Ich ging nur davon aus, sie seien nicht arbeit­en und ich könne daher einen Ter­min am Tag find­en.” Den haben wir dann auch gefun­den. Elf Uhr und die Hilde, sie meinte, sie könne auch um die Zeit. Gle­ich ist es elf und es wäre schön, wenn sie auch kom­men würde. Aber, nein, der Zeiger der Uhr set­zt sich auf Punkt elf und es klin­gelt der Mann von der Woh­nungs­ge­sellschaft. “Na dann schauen wir uns mal den Schaden an.” floss es aus seinem Mund. Den Schaden, als wenn ich etwas kaputt gemacht hätte. Muss ich mir den Schuh anziehen, wenn hier alles nur für den aufrecht­en Gang gebaut ist. Doch ich blieb still, pack­te Fritz in den Bug­gy und wir gin­gen zum Fahrstuhl. “Ich seh schon, die Wand sieht nicht ger­ade nett aus und sie kom­men wirk­lich nicht anders vor­bei?” — “Nee.” antwortete ich: “ich kann ja mal den Fahrstuhl holen und dann zeige ich es ihnen.” Der Fahrstuhl kam mit der Hilde. Ich atmete tief aus, nun muss ich diese Diskus­sion doch nicht alleine durch­ste­hen.

Die Hilde blieb ein­fach bei uns ste­hen und er fragte darauf, ob sie dazu gehöre. Sie antwortete mit ja, doch er wartete dies ja gar nicht ab und redete weit­er. “Zeigen sie mal, wie sie in den Fahrstuhl rein und wieder raus kom­men mit dem Bug­gy.” Und wie jedes mal beim Ver­lassen, sch­abte ich ein Stück an der Wand ent­lang mit einem Reifen. “So gin­ge das aber nicht.” warf er ein. Ich bot ihm den Bug­gy an, aber er lehnte ab. Dann fing die Hilde an, ihm zu erk­lären, dass es doch nicht an mir liege, wenn hier alles so eng gebaut wurde. Flure, wo kaum zwei Leute nebeneinan­der passen. Er meinte nur, trotz­dem müsse ich für den Schaden aufkom­men, spätestens dann, wenn ich ausziehe. “Was denn für ein Schaden?”, beschw­erte ich mich: “Eine Wand, die vom Gum­mi des Rades ein wenig dreck­ig ist.” Er schaute mich gen­ervt an und holte tief Luft. Die Hilde fragte ihn, ob man die Wand nicht mit abwaschbar­er Farbe stre­ichen könne? Seine Lip­pen zogen sich zur Lin­ie, als hät­ten sie vor, das Wort Nein zu binden. Ich warf schnell ein: “Aber sie sehen doch, der Flur hat sowieso einen Anstrich nötig. Stand auch let­ztes Jahr in der Mieterzeitung.” Seine Lip­pen zogen sich einen Moment noch enger zusam­men und dann sagte er: “Ich mache Ihnen einen Vorschlag. Wir machen hier eine abwaschbare Tapete hin und sie küm­mern sich darum, dass sie sauber bleibt.” Ich stimmte zu und als er weg war, moserte hin­ter mir die Hilde noch rum, von wegen, ich hätte nicht nachgeben sollen. Jet­zt habe ich noch die Arbeit am Fahrstuhl den Flur sauber zu machen. Hilde, die Tapete, nur die Tapete.

Kat­e­gorie: 



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Charlott 2 (l)

Als ich zu mein­er Mut­ter mal äußerte, Fritz gibt meinem Leben die Farbe. Ich weiß nicht, wie lange sie danach nichts sagte, aber ihr Kom­men­tar: “Aber er ist schon ein ganz schön anstren­gen­der Anstrich.” biss sich in mir sofort fest, wich Tage lang nicht aus dem Schädel. Ein anstren­gen­der Anstrich. Denkst du, Char­lott, ich habe ein far­blos­es Leben, fügte sie noch an. Nein, doch ich behielt dieses Nein für mich. Der Tod meines Vaters, ob er ihr erst die Farbe ins Leben brachte? Mein Vater wan­delte ihr far­blos­es Leben ins leuch­t­ende, holte sie raus, weg aus der Leere ihrer Fam­i­lie. Seit­dem war sie wer, mehr als vorher und dann, als er sich ver­ab­schiedete, sich unter die ober­ste Erd­schicht legte, alle Far­ben, selb­st meine, schwan­den ins Grau, damals.

Gibt es sie, die Tage, welche gefüllt sind mit Glück, mit Zufrieden­heit? Eigentlich ist es wie bei einem Regen­bo­gen. Die Freude beste­ht, wenn man mit Fritz unter­wegs ist, sich auf die Wiese legt im Wald und neben sich die Hilde. Hin­ter sich lass ich ein­fach alles fall­en, das ganze Gerangel um Fritz und um die richtige Ein­stel­lung zu dem. Sie müssen dies so und dies und am Ende, was ist wenn Fritz nicht mehr ist. Regen, jed­er Regen­bo­gen führt es mit sich, die Sonne, den Regen. Man wird nass, spürt wie die Klei­dung sich an die Fig­ur heftet, die Prob­lem­zo­nen her­vorhebt und die Sonne, die einen wärmt. Doch man weiß, ausziehen, sich ganz nackt machen, das geht nicht. Es wäre der Ver­lust des eige­nen Lebens.

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Charlott 2 (k)

Hat­te ich mich für dieses Leben entsch­ieden. Hat­te ich es wirk­lich? Ich wüsste nicht. Meine Mut­ter hat mir auch nicht den besten Start gegeben. Der Tod meines Vaters, da stand sie mehr neben sich als neben mir, als das sie für mich present war. Und neben mir ent­stand eine Leere.

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Charlott 2 (j)

Ich ver­ste­he es ein­fach nicht. Die Hilde klin­gelt durch und redet was von, ich will jet­zt kom­men und dann, ein­fach Ruhe. Zwei Stun­den braucht sie bis zu mir, meint sie. Zwei Stun­den und ich habe den ersten Brief an sie fer­tig geschrieben. Es war gar nicht so ein­fach, die Gedanken zu ord­nen, schwieriger als beim See­len­doc. Bei dem kann ich ein­fach drauf los reden und dann wird sich von einem zum anderen The­ma gehangelt. Bei der Hilde, nee, da braucht es erst eine Ein­führung. Das musste ich spätestens ler­nen, als ich ihr klar machte, Fritz ist behin­dert, behut­sam.

Schon witzig, die anderen brauchen es behut­sam und uns Eltern hat man es ein­fach so hingek­nallt: Ein nor­male Entwick­lung ihres Kindes kön­nen sie vergessen. Dabei war eine Ther­a­peutin noch bess­er, die hat uns immer, jede Stunde, erk­lärt, was Fritz nicht kann. Wir star­rten nur noch auf das Kind, wie auf ein Auto mit Totalschaden.Behutsam und was schreibt man ein­er Fre­undin, wenn es nichts zu sagen gibt. Man beschreibt die Ober­fläche und dann die Fal­ten, was einen stört und woran man merkt, irgend etwas fließt durch die Fal­ten und man kann es nicht pack­en. Ist es das Leben, das, was ich ver­säumt habe oder ist es die Angst, wieder etwas zu ver­säu­men. Drei Stun­den sind jet­zt rum und immer noch ist kein Auto vorge­fahren. Denn Brief habe ich jet­zt ver­packt, mit Kuss, ver­ste­ht sich. Wird wohl mor­gen den Post­weg nehmen.

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Charlott 2 (i)

Du find­est den Weg nicht raus aus der Klinik, dein Vater schweigt. Klar, da drehen sich die Gedanken vor dem Abgrund und immer einen Schritt weit­er. Es ist halt nicht so, wie damals, als es nicht nach Hause ging, bloß weil ein Typ meinte bei der Krankenkasse, mit dem Pflege­di­enst, das geht nicht und ich per Tele­fon, per Brief erk­lären musste, der Pflege­di­enst ist notwendig. Ich kann nicht Tag und Nacht hoch schreck­en, wenn du, Fritz, abge­saugt wer­den musst, wenn die Beat­mung zickt oder der Mon­i­tor schre­it, und dann wurde der Typ immer ungeduldiger, wir sollen doch erst­mal die Klinik ver­lassen, dann klappt das schon mit der häus­lichen Unter­stützung. Wir sollen, ja natür­lich, Fritz kostet Geld, jeden Tag kostet er, ein Men­sch, Geld. Aber nee, wir blieben in der Klinik, denn diese Diskus­sion hat­ten wir schon mit dem Pflege­bett durch, ein Tick früher.
Erst hieß es, mündlich, es sei genehmigt und wir stimmten zu nach Hause zu gehen und dann wurde es ewig nicht geliefert. Die Fir­ma meinte, die Kasse hat die Kostenüber­nahme noch nicht bestätigt und bei der Kasse hieß: Ja wie, Pflege­bett genehmigt? Sie wüssten von nichts, es liegt beim medi­zinis­chen Dienst. Alles klar, dachte ich nur und fragte, da ich meinen Bub zuhause nicht mehr ordentlich pfle­gen kon­nte wegen Rück­en­schmerzen, ob ich dann heute meinen Bub erst­mal wieder in die Klinik ein­liefern lassen muss. Das andere Ende der Leitung ver­s­tummte. Argu­mente, wenn man vorher wüsste, welchen Argu­mente die richti­gen sind, wären wir sicher­lich ins­ge­samt ein Stück weit­er.
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Charlott 2 (h)

Und nicht nur einen Kuss werde ich ihm geben.
Wie damals, als das Tra­cheostoma, der Schnitt in der Luftröhre, für die Kanüle kam. Die Trä­nen fie­len, ich wusste keinen Weg, sie zu hin­dern, nicht wo sie her kamen. Nur die Stim­men der Ärzte zogen sich durch meinen Kopf, lange könne er nicht mehr mit dem Tubus beat­met wer­den, wenn er nicht bald wegkommt von der Mas­chine, dann .… Ich sah schon den Nebel auf­steigen, unseren Weg an einem Fluss enden, ein Pfad zieht seine Spur am Wass­er ent­lang, der andere in das Wass­er hinein. Die Fähre, die Fahrzeit unbekan­nt. Ich stand an Fritz seinem Bett, die Mas­chine sur­rten und immer, immer wieder musste ich raus aus dem Zim­mer, raus von der Sta­tion, schloss mich ein in die Toi­lette, um die Trä­nen fall­en zu lassen. Fritz, er ist doch noch ein Kind, dem Tod darf er nicht gehören. Die Entschei­dung, was blieb, wovon alle dort ihre Wörter hin ban­den: Tra­cheotomie, das Kind braucht eine Kanüle. Er bekam sie.
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Charlott 2 (g)

Sie brauchen sich gar nicht so darin rein­hän­gen. Es bringt eh nichts, hat­te mir die Frau am Tele­fon gesagt. Beratung nen­nt sich das, Beratung für das behin­derte Kind. Ich glaub, da hätte ich mir die Mühe sparen sollen. Suchst dir die Num­mern zusam­men, ruf­st einen Vere­in an den näch­sten an und willst es wis­sen, ob das wirk­lich mit dem Ausweis richtig ist: Fritz ist nur noch achtzig Prozent schw­er behin­dert, als ich dies las, da machte es nur klack im Kopf, die Frage tickt sich durch den Schädel, der Kom­men­tar: Geht’s noch? Read more

Charlott 2 (f)

An manchen Tagen kön­nte man meinen, der Bub, er kann doch lachen, er habe es gel­ernt, das Lächeln mit seinen vier Jahren. Wenn er so da liegt, seine blind­en Augen sich ruhig bewe­gen, als könne er die Welt abtas­ten, seine Atmung in ruhi­gen Schrit­ten den Brustko­rb heben, wieder fall­en lassen. Ach Fritz, wenn sich die Sonne durch die Bäume schieb, ein Rascheln der Blät­ter eine Melodie spie­len. Wenn dann an solchen Tagen keine Post den Briefkas­ten füllt, kein Ärg­er­nis über die näch­ste Kamp­fansage vom Amt in den Blick kommt. Ein Lächeln, ein kleines Lächeln, nur für mich sicht­bar, nur für mich.
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Charlott 2 (e)

Fritz, manch ein­er fragt sich sicher­lich, warum mein Bub ein­fach diesen Namen bekom­men hat. Aber es tat sich, es fühlte sich ein­fach so an. Als ich den Bub das erste mal sah, ihn in den Arm nahm, es kon­nte nur Fritz sein. Wern­er, dem war es egal. Den Ärg­er, wenn der Bub nicht mit seinen Namen klar käme, habe ich dann zu ertra­gen, meinte er. Na, nicht ernst. Doch ist dies jet­zt auch egal, denn Ärg­er wird es nie geben. Fritz, ja er wird nie begreifen, was sein Namen ist. Dieses Wort ist für ihn nur das, was er in seinem Leben am meis­ten gehört hat und noch hören wird, neben den unzäh­li­gen Küssen von mir auf seinen Wan­gen, aber ver­ste­hen. Das bleibt ein kleines Frageze­ichen, ganz klein.
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